Türkei: Strafprozess gegen kurdische Politiker entscheidend für die Kurdenfrage
Am 18. Oktober 2010 beginnt in Diyarbakir/Türkei ein Strafprozess gegen 151 kurdische Politiker, denen Verbindungen zur verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) vorgeworfen werden. Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) befürchtet, dass im Falle der Verhängung hoher Haftstrafen die Lösung der Kurdenfrage in der Türkei einen schweren Rückschlag erleiden könnte. Sie forderte die Schweizer Regierung auf, gegenüber der Türkei ihre Besorgnis über diesen politischen Prozess auszudrücken.
151 kurdische Politiker stehen am 18. Oktober 2010 in der im Südosten der Türkei gelegenen Stadt Diyarbakir vor Gericht. Zu den Angeklagten zählen 11 gewählte Bürgermeister, unter ihnen auch der in der kurdischen Bevölkerung populäre Bürgermeister von Diyarbakir, Osman Baydemir.
Nach den für die kurdischen Parteien siegreich ausgegangenen Lokalwahlen im Frühjahr 2009 wurden bis heute insgesamt mehr als 1‘500 kurdische Politiker und Aktivisten festgenommen. Ihnen allen werden Beziehungen zur verbotenen PKK vorgeworfen. Am 18. Oktober 2010 müssen sich 151 von ihnen vor Gericht diesen Anschuldigungen stellen.
Die Hoffnungen vieler Kurdinnen und Kurden auf eine bessere Zukunft, welche die AKP-Regierung im Sommer 2009 mit der „kurdischen Initiative“ geweckt hatte, sind nicht zuletzt wegen diesen Verhaftungen enttäuscht worden. Obwohl einige minimale Fortschritte im Umgang mit der kurdischen Minderheit in der Türkei anzuerkennen sind - so etwa die Zulassung der kurdischen Sprache in Fernsehen und Radio - wird die politische Partizipation der Kurden nach wie vor stark eingeschränkt.
Die GfbV teilt die Besorgnis von türkisch-kurdischen Diaspora-Vertretern in der Schweiz, dass am 18. Oktober 2010 in Diyarbakir faktisch ein politischer Prozess mit starker Signalwirkung auf die kurdische Bevölkerung abgehalten werden wird. Sollte das Gericht in Diyarbakir sehr hohe Strafen verhängen, würde dies für viele Kurden bedeuten, dass für sie der rechtsstaatliche, friedliche und demokratische Weg zur Lösung der Kurdenfrage in der Türkei obsolet würde. Sollte sich das Gericht jedoch für den Freispruch der 151 Angeklagten entscheiden, würde die Hoffnung der kurdischen Bevölkerung, welche sich ein Ende der Diskriminierung und Unterdrückung wünscht, bestärkt.
Die GfbV hat deshalb in einem Brief an Bundesrätin Micheline Calmy-Rey die Schweizer Regierung dazu aufgefordert, die prekäre Situation der Kurden vor Ort mit grösster Aufmerksamkeit zu verfolgen und gegenüber der türkischen Regierung nicht nur die Besorgnis der Schweiz über diesen politisch brandgefährlichen Strafprozess auszudrücken, sondern auch mit allen geeigneten Mitteln darauf hinzuwirken, dass die Lösung der Kurdenfrage auf friedlichem Wege vorangetrieben werden kann.