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Die “verbotene Sprache” von Nicole M.

Nach zwei Monaten werden der Kioskinhaber, der Dönerverkäufer und der Hausmeister langsam ungeduldig, wenn ich sie immer noch auf Türkisch begrüsse. Mit wohlwollender Hartnäckigkeit sprechen sie Kurdisch mit mir, doch auch wenn ich die paar Floskeln, die ich kenne, gerne benutze, bin ich weit davon entfernt, diese Sprache auch nur ansatzweise zu beherrschen.


Ich hatte immer geglaubt, Kurdisch sei eine jener verlorenen Sprachen, deren letzte Sprecher bald aussterben. – Ich habe mich selten so gefreut, dass ich falsch gelegen habe.


In vielen Städten und Dörfern der Südosttürkei ist Kurdisch die einzige Sprache, die man auf der Strasse hört. Es gibt nicht wenige Menschen – gerade in den älteren Generationen –, die kein Türkisch sprechen, aber Kurden, die kein Kurdisch sprechen, sind selten. Und diejenigen, die aus irgendwelchen Gründen tatsächlich nur Türkisch beherrschen, werden stets darauf angesprochen, und zwar meist nicht gerade positiv. Wenn sich Einheimische auf Türkisch unterhalten, muss man nicht lange darauf warten, dass irgend jemand kommt und fragt: „Warum sprecht ihr nicht Kurdisch?“ Dies ist nicht als allzu heftige Kritik gemeint – aber man ist sich hier äusserst bewusst, dass die kurdische Sprache eine Art Sonderstatus hat und dass jeder einzelne Sprecher dazu beiträgt, die Originalität und Geläufigkeit der Sprache beizubehalten. Lange genug war sie schliesslich mit dem Label „verboten“ versehen – der türkische Staat versteht sich als Einheitsstaat, in dem es nur ein Volk, nur eine Nation, nur eine Sprache geben darf.

Doch der kurdische Sprachraum ist landesübergreifend – jenseits der Grenzen, in Syrien, im Irak und im Iran sprechen die Kurden genau so bewusst und genau so fliessend Kurdisch wie in der Türkei. Die „türkischen“ Kurden werden allerdings nicht müde zu betonen, dass die Restriktionen in der Türkei am grössten seien. Zwar gibt es seit ein paar Jahren einen Fernsehkanal, der auf Kurdisch sendet, aber wirklich frei sind dessen Programme nicht, da sie der staatlichen Kontrolle unterliegen. Ein Bekannter erzählt mir, wie er im Fernsehstudio bei der Aufzeichnung einer „Wer-wird-Millionär“-ähnlichen Sendung entsetzte Blicke geerntet hat, als er sich über die Auseinandersetzungen mit dem türkischen Staat geäussert habe. Der betreffende Teil wurde später natürlich aus der Sendung herausgeschnitten.

Doch so bedrohlich, wie ich es mir vorgestellt habe, ist das Sprachproblem dennoch nicht. Als ein Bekannter, der gerade in ein – freundliches – Gespräch mit ein paar Polizisten verwickelt ist, einen Anruf erhält, nehme ich an, dass er sein Gespräch nun auf türkisch führen wird. Aber er palavert so selbstverständlich und so ausführlich wie immer auf Kurdisch, und keiner der Polizisten verzieht auch nur eine Miene.
Und auch auf offizieller Ebene herrscht kein Stillstand – vor ein paar Tagen fanden an der Universität von Mardin Eignungsprüfungen für angehende Lehrer statt, die vorhaben, an einer türkischen Universität Kurdisch zu unterrichten. Der Aufbau von entsprechenden Fakultäten ist zwar noch in Planung und diese alles andere als ausgereift, aber die Tatsache, dass in den nächsten Jahren auf Universitätsniveau Kurdisch unterrichtet wird – und zwar in der ganzen Türkei, nicht nur in den kurdischen Gebieten – scheint mir doch zu zeigen, dass auch seitens der türkischen Regierung etwas in Gang gesetzt wird. Dass es den meisten Kurden zu langsam geht, ist zwar verständlich, denn diese Probleme berühren eine unheimlich emotionale Ebene, aber von aussen betrachtet kann man in diesem Punkt sicher eine positive Bilanz ziehen.

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