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Der Kommentar Wohin steuert die AKP? Von Memo Sahin

Als die türkische Regierungspartei, AKP, sich nach den Parlamentswahlen im Jahre 2002 auf den Weg in die Europäische Union machte und die Macht der Generäle und Eliten der kemalistischen Schule begrenzen wollte, war sie eine reformoriente Erneuerungspartei. Die unter dem Diktat der Kemalisten leidende Bevölkerung, die Intellektuellen, Demokraten und Liberalen haben damals nicht gezögert, den Kurs der AKP zu unterstützen. Auch aus dem Westen, EU und USA, erhielt sie zunehmend Anerkennung und wurde international aufgewertet. Dies und die wirtschaftlichen Erfolge haben die AKP ermutigt, ihren Platz auf dem Sattel zu verfestigen und im In- und Ausland selbstbewusster aufzutreten oder sogar aufzutrumpfen.
So hat Regierungschef Erdogan nicht gezögert auf dem internationalen Parkett in Davos den israelischen Staatspräsidenten Peres der "barbarischen Kriegsführung“ zu bezichtigen, ohne sich zu erinnern, was er im eigenen Land gegenüber den Kurden praktizierte. (spiegel.de, 29.1.2009)
In Deutschland beschuldigte er die Bundesregierung der „Assimilation“ der türkischen Migranten, die „ebenso wie der Antisemitismus ein Vergehen an der Menschheit“ sei, ohne in Erinnerung zu rufen, dass in seinem Land kein einziger Klassenraum besteht, in dem kurdische Kinder in ihrer Muttersprache unterrichtet werden. (FAZ, 2.11.2011)
Bezüglich der Anerkennung des Völkermordes an Armenier griff die AKP-Regierung fast alle europäischen Regierungen an, rief zum Boykott der Waren aus der Schweiz und aus Frankreich auf, obwohl dieses Vergehen fast 100 Jahre vor seiner Regierung im Osmanischen Reich stattgefunden hatte.
Ab der Mitte des Jahrzehnts war die AKP vorrangig damit befasst, die Macht der Generäle und Kemalisten zu begrenzen – eine Herkules-Aufgabe, die sie relativ erfolgreich bewältigt hat. Die Generäle wurden im Sommer 2011 in ihre Kasernen beordert und der neue Generalstabschef fühlt sich mit der AKP-Regierung verbunden.
Seit fast fünf Jahren, ab 2007 kontrolliert sie die Legislative und Exekutive und stellt das Staatsoberhaupt. Hinzu gekommen ist im Jahre 2010 auch die Judikative, die vom Hohen Rat der Staatsanwälte und Richter (HSYK) kontrolliert wird, darunter auch das Verfassungsgericht. Alle bis dahin von der AKP kritisierten Verfassungsorgane, darunter Nationaler Sicherheitsrat (MGK), Religionsbehörde (Diyanet), Hochschulrat (YÖK) und Kontrollgremium der Medien (RTÜK), wurden nicht abgeschafft, sondern mit AKP nahen Kadern neu besetzt und unter Kontrolle gestellt.
Ein sehr großer Teil der türkischen Medien befinden sich in den Händen der islamischen Holdings. Dutzende von Tageszeitungen und Fernsehstationen agieren wie Zentralorgane der AKP. Allwöchentliche Reden von Erdogan werden landesweit von über zehn Fernsehsendern live übertragen. Erdogan lädt die Besitzer und Chefredakteure zu Briefings ein und bestimmt den Ton der Berichterstattung. (haber7.com, 20.10.2011)
In der Kurdenfrage agiert die AKP wie ihre Vorgänger und denkt, dass sie die Kurdenfrage mit militärischen Mitteln lösen könne: Wie Vorgänger Demirel, der 1992 sagte, dass er die kurdische Realität anerkenne, wie Mesut Yilmaz, der 1999 sagte, dass der Weg der EU über Diyarbakir laufe, sagte Erdogan im Sommer 2005 in der Kurdenmetropole Diyarbakir: "Das Kurdenproblem ist nicht etwas, das nur einen Teil der Nation betrifft, sondern ist unser aller Problem und vor allem mein Problem." (12.8.2005) Drei Jahre später, im Sommer 2008 „startete“ er die Politik der „kurdischen Öffnung“, die allerdings im Sande verlief und verkehrte sie im kurdischen Mus wieder, in dem er sagte: „Für mich existiert die Kurdenfrage nicht!“ (30.4.2011, http://www.haber7.com/haber/20110430/ Erdogan-Kurt-sorunuyoktur.php)
Seit dieser Art der „kurdischen Öffnung“ wurden über 6000 kurdische Politiker, gewählte Volksvertreter, Bürgermeister, Gewerkschafter, Journalisten und Menschenrechtler und Rechtsanwälte nicht nur vorüber gehend festgenommen,
sondern verhaftet. So versucht die AKP-Regierung die legale kurdische Partei BDP, die 100 Kommunen in kurdischen Gebieten regiert und im türkischen Parlament vertreten ist, zu lähmen. Die AKP versucht jedoch nicht nur, Kurden mundtot zu machen, sondern auch Andersdenkende. Prof. Dr. Büsra Ersanli und der international bekannte Verleger Ragip Zarakolu wurden als angebliche Unterstützer der KCK, sprich PKK, verhaftet.
In den kurdischen Bergen wird internationales Kriegsrecht verletzt, indem Kämpfer der PKK mit chemischen Waffen ermordet wurden. Zivilisten werden in diesem Krieg nicht verschont. Am 28. Dezember 2011 wurden 34 Kurden mehrheitlich Kinder und Jugendliche mit F16 Kampfjets massakriert - wie es scheint, wider besseres Wissen. Erdogan leitete höchstpersönlich einen Prozess gegen seinen bis dato Unterstützer, Ahmet Altan, Herausgeber der Tageszeitung Taraf, auf Schadenersatz in Höhe von 30.000 Türkische Lira ein, weil der ihn wegen der Tötung der 34 kurdischen Zivilisten kritisiert hatte.
Erdogan erträgt selbst keine kritischen Karikaturisten und Künstler, nicht nur Mohammed-Karikaturisten. Er lässt an der armenischen Grenze ein Friedensdenkmal des Künstlers Mehmet Aksoy zerstören, das für die Annäherung zwischen den beiden Völkern stand. (http://www.dha.com.tr/haberdetay.asp?Newsid=173593, 14.6.2011). Erdogan griff auch den amerikanischen Schriftsteller, Paul Auster, an, weil dieser es abgelehnt hatte, in ein Land einzureisen, in dem Journalisten und Schriftsteller verhaftet sind. Erdogan erwiderte: „Ob du kommst oder nicht, was würde sich denn ändern?“
Amnesty international, Human Rights Watch, Menschenrechtskommissar des Europarats, Hammerberg, EU-Erweiterungskommissar Füle und PEN-International kritisieren die AKP-Regierung wegen der massenhaften Inhaftierung der BDPler, der Journalisten und Schriftsteller sowie begangenen Menschenrechtsverletzungen. Die Türkei ist nach einer Auflistung der Organisation Reporter ohne Grenzen von 179 Ländern in Bezug auf die Pressefreiheit im Jahre 2011 gleich um 10 Stellen auf den Platz 148 abgerutscht. Nach Recherchen des unabhängigen Netzwerks Bia vom 31.01.2012 sind 104 Journalisten und 30 Verteiler von Zeitungen meist unter dem Vorwurf, illegalen Organisationen anzugehören, inhaftiert.
Nun ist Erdogan auf dem Wege nach dem Vorbild der Kemalisten statt einer „kemalistischen Jugend“ eine „gläubige Jugend“ zu schmieden. Vor seiner Fraktion am 31. Januar verkündete er, dass die AKP-Regierung vorhabe, eine gläubige Jugend zu erziehen, indem er vergaß, dass die „Erziehung einer gläubigen Jugend“ nicht zu den Aufgaben einer säkularen Regierung gehört und dass der Staat in der Glaubensfrage unparteiisch bleiben muss.
Die religiösen und ethnischen Minderheiten, wie Aleviten, Christen und Kurden, haben bitter erfahren, was für eine Jugend aus der „Türkisch-Islamischen-Synthese“ geschmiedet wurde und wozu sie fähig ist.
Auch von der Politik „Nullproblem mit den Nachbarn“ ist nichts übriggeblieben. Fast mit allen Nachbarn, Armenien, Iran, Irak, Syrien, Zypern und Griechenland ist die türkische Außenpolitik auf Konfrontationskurs geraten.
Anscheinend hat die AKP-Regierung vom Vorhaben, das Land zu demokratisieren, die Kopenhagener Kriterien voll anzuerkennen und anzuwenden und die Kurdenfrage friedlich zu lösen, Abschied genommen. So stellt sich mit Recht die sorgenvolle Frage, wohin steuert die AKP-Regierung?

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