Die schwierigen innerkurdischen Beziehungen | Von Memo Sahin und Andreas Buro
Von Memo Sahin und Andreas Buro
Wie viele der Kurden haben auch wir uns gefreut, als Mesud Barzani (Präsident der Regionalregierung Kurdistans, KDP), Celal Talabani (Präsident der Republik Irak und Vorsitzender der Patriotischen Union Kurdistan, PUK) und Abdullah Öcalan (Vorsitzender der Arbeiter Partei Kurdistan, PKK) im Sommer 2013 zur Gründung eines gesamtkurdischen Nationalkongresses aufriefen.
Daraufhin wurden ein Vorbereitungskomitee und viele Kommissionen gebildet und wochenlange und arbeitsintensive Diskussionen geführt. Viele der strittigen Themen wurden aus dem Weg geräumt. Es hakte schließlich bei der Verteilung der Zahl der Delegierten aus vier Teilen Kurdistans und bei der Repräsentanz des Nationalkongresses. Nach Willen der PKK sollte der Nationalkongress durch zwei Personen, einen Mann und eine Frau geführt werden. Es sollte neben Barzani, Leyla Zana Platz nehmen. Auch bei der Vergabe der 600 Delegierten kam es zwischen KDP und PKK zu Meinungsunterschiede. Ein anderer Streitpunkt war Syrisch-Kurdistan – Rojava, wo die Schwesterpartei der PKK, PYD (Partei der Demokratischen Einheit) als führende Kraft hervorging.
Nachdem die konstituierende Sitzung des Nationalkongresses zwei Mal verschoben wurde, musste das Vorhaben erneut eingefroren werden. Beim Scheitern dieses Versuches haben sowohl Ankara als auch Teheran ihren „Beitrag“ professionell geleistet.
Seitdem sind die Beziehungen von KDP und PKK belastet. Tiefer liegende Gegensätze mögen eine Rolle spielen, etwa die Bestimmung kurdischer Politik. Es gibt aber in letzter Zeit Bemühungen zur Normalisierung der Beziehungen.
Rojava
Der Hauptstreitpunkt war neben dem Nationalkongress Kurdistans, die Haltung zur Revolution in Westkurdistan (Syrien) – Rojava. Dort hat die Schwesterpartei der PKK, PYD durch den zivilen und bewaffneten Widerstand gegen das syrische Baath-Regime und gegen die islamistischen Djihadisten die Oberhand gewonnen und die Basis unter der kurdischen Bevölkerung und den ethnisch-religiösen Minderheiten, wie den christlichen Assyrern, Armeniern und ortansässigen sunnitischen Arabern erheblich ausgeweitet.
Die Schwesterparteien der irakischen KDP in Syrien haben im Gegensatz dazu ihre Zelte in Fünfsterne-Hotels der kurdischen Hauptstadt Hewlêr/Erbil in Irakisch-Kurdistan aufgeschlagen, nachdem die kurdischen Gebiete in Syrien von islamistischen Aggressoren der Al-Nusra-Front und ISIS (Islamischer Staat in Irak und Syrien) angegriffen worden sind. Andererseits versuchten sie vergeblich, Teil der syrischen Opposition zu werden, die stark im Schatten der Türkei, Saudi-Arabiens und Katars stand. Zu diesem Zweck reisten sie immer wieder nach Istanbul, Kairo und Doha.
Seit Beginn dieses Jahres wurden drei kurdisch-syrische Enklaven – Cizire, Kobanî und Efrin - zu Kantonen ausgerufen, in denen auch andere Volksgruppen vertreten sind. Sie sind nun dabei, die ersten Wahlen zu einer Regionalregierung durchzuführen. Es wurde eine gesetzgeberische Versammlung gebildet. Kurdisch, Arabisch und Aramäisch wurden als Amtssprachen eingeführt. Das alltägliche Leben wird trotz des Wirtschaftsembargos der Türkei, des Assad-Regimes und der kurdischer Regierung im Irak von der gemeinsam gebildeten Regionalregierung entfaltet.
Die Kommunen kümmern sich um das städtische Leben, die Bauern bestellen ihre Felder und Obstgärten sowie Olivenplantagen. Und die Kämpfer der YPG – Volksverteidigungseinheiten verteidigen das Land und die Bevölkerung gegen die Djihadisten.
Ankara
Seit ein paar Jahren haben sich die Beziehungen zwischen der türkischen AKP und der irakisch-kurdischen KDP in wirtschaftlicher und politischer Hinsicht sehr intensiviert. Über tausend türkische Großfirmen arbeiten in Irakisch-Kurdistan und erwirtschaften dort über 10 Milliarden Dollar jährlich. Der Vorsitzende der KDP und Präsident irakisch Kurdistans kommt als Wahlhelfer der AKP in die Türkei und der kurdische Ministerpräsident ist mindestens einmal im Monat bei Erdogan.
Parallel dazu führt Erdogan seit anderthalb Jahren über seinen Geheimdienst MIT erneut Verhandlungen mit dem inhaftierten Vorsitzenden der PKK auf dem Gefängnisinsel Imrali. Obwohl beide Seiten über einen Stufenplan zur Lösung der Kurdenfrage einig sind, zögert die türkische Seite, die erforderlichen Schritte zu tun. Sie versucht, über die Wahlen (Kommunalwahl Ende März 2014 nun Präsidentenwahl im August) Zeit zu gewinnen und die Geduld der kurdischen Seite auszutesten.
Zur gleichen Zeit unterstützt Ankara die islamistischen Gruppen, wie Al-Nusra und ISIS, gegen die mit der PKK verbündete PYD. Nach Informationen eines kabinettnahen Journalisten, A. Selvi, hat Geheimdienst der Türkei mit 2000 voll beladenen LKWs diese Kräfte unterstützt. Da der Geheimdienst weder ein Wohlfahrtverband noch der Rote Halbmond der Türkei ist, kann man davon ausgehen, dass die Güter dieser 2000 LKWs nicht humanitären Zwecken dienten.
Die Türkei dient als Transitterminal für die Djihadisten. Sie werden z.T. in der Türkei militärisch ausgebildet, logistisch unterstützt und die Grenzen der Türkei sind für diese Gruppen stets offen. Die Verwundeten werden durch türkische Rettungswagen in die Türkei gebracht, behandelt und wieder nach Syrien eingeschleust.
Wie kommt es aber dazu, dass Ankara mit beiden großen kurdischen Parteien, KDP und PKK, diesseits und jenseits der Grenze redet und in der gleichen Zeit aber die Beziehungen beider Akteure sich verschlechtern? Wie kann es sein, dass PKK und Ankara verhandeln und die türkische Seite in der gleichen Zeit über 340 neue militärische Kasernen und Stationen errichtet? Wie kann es sein, dass Ankara mit der PKK verhandelt und im Gegensatz dazu den heiligen Krieg der islamistischen Aggressoren gegen die Schwesterpartei der PKK, PYD unterstützt?
Auf diese Fragen müssen die kurdischen Akteure eine Antwort finden und nachdenken, warum sich ihre Beziehungen untereinander verschlechtern. Eine Antwort haben wir. Ankara versucht, durch sogenannte Verhandlungen und „gute“ Beziehungen Zeit zu gewinnen und die kurdischen Akteure gegeneinander auszuspielen.
Eine ähnliche Politik verfolgt auch Teheran, in dem es z.B. PUK und Goran ( Das Wort heißt ‚Wechsel’ und ist eine Abspaltung von der PUK) gegen die Vorherrschaft der KDP in Irak unterstützt; mit der PKK de facto einen Waffenstillstand beibehält, in der gleichen Zeit aber die Schwesterpartei der PKK in Iranisch-Kurdistan bekämpft und wöchentlich kurdische Aktivisten hinrichtet. Nach dem Vormarsch der ISIS im Irak und seit dem 23. Juni bombardiert Iran kurdische Gebiete im Irak, um die irakischen Kurden unter Druck zu setzen, damit sie weiterhin die Maliki-Regierung in Bagdad unterstützen.
Erbil - Bagdad und ISIS
Die Beziehungen zwischen der kurdischen Regierung in Erbil und der Zentralregierung in Bagdad haben sich in den letzten Jahren verschlechtert. Obwohl Kurdistan per Verfassung ein föderativer Teil Iraks ist, befinden sich einige kurdische Gebiete um die erdölreichen Städte Kirkuk, Khanaqin, Mendeli und Shengal unter der Herrschaft der Zentralregierung. Laut irakischer Verfassung Artikel 140 sollten in diesen Gebieten schon längst Referenden stattfinden und die Bevölkerung entscheiden, ob sie unter der Obhut der kurdischen oder der Bagdader Regierung bleiben. Der irakische Premier Maliki hat diese Volkentscheide immer wieder verschoben. Auch sollten Kurden gemäß der Verfassung 17% des irakischen Haushalts erhalten. Es kam jedoch ständig zu monatelangen Verzögerungen, wonach sich die Kurden entschieden, das Erdöl in ihren Gebieten selbstständig zu fördern und zu verkaufen. Dadurch wollen sie ihren 17-prozentigen Anteil sichern und den Rest nach Bagdad weiterleiten.
Es ist keine Neuigkeit, dass der schiitische Maliki, die sunnitischen Gebiete jahrelang vernachlässigt und Schlüsselministerien und -ämter an sich gerissen hat. Die Wegbereiter der ISIS sind die unzufriedenen Sunniten. Seit 11 Jahren arbeiten Elemente der Baath-Partei der Saddam-Ära und Führer der sunnitischen Stämme im Untergrund und bildeten schlafende Zellen. Am 10. Juni war es soweit. Mit Hilfe dieser schlafenden Zellen konnte ISIS fast ohne Widerstand eine zwei Millionen Metropole wie Mosul und weitere Gebiete besetzen. Über eine halbe Million Menschen flohen binnen eines Tages nach Irakisch-Kurdistan. So ist ISIS in nur einem Tage neuer Nachbar der Kurden geworden. Kurdische Peshmerga-Einheiten sichern seitdem auch alle kurdischen Gebiete, die in Obhut der Bagdader Regierung standen, darunter Kirkuk. Nach dem Vormarsch der ISIS erklärten alle kurdischen Parteien aus vier Teilen Kurdistans ihre Bereitschaft die kurdischen Gebiete gegen die Aggressoren zu verteidigen, darunter die PKK, PYD und KDP-Iran.
„Wir stehen vor einer neuen Realität und einem neuen Irak“ sagte Barzani dem Sender CNN am 23. Juni mit Blick auf den neuen Nachbarn im Irak und fügte hinzu: „Die Zeit ist reif, dass die Kurden ihre Zukunft selbst bestimmen und 90% der Kurden hinter dieser Entscheidung stehen.“
Die innerkurdische Grenze zwischen Irakisch- und Syrisch-Kurdistan wird von den Einheiten der KDP und PYD verteidigt und gesichert. Der ISIS Vormarsch hat die belasteten Beziehungen beider Parteien zurück treten lassen.
Nach den Unterstützungserklärungen und einiger Vorgespräche begannen die Beziehungen der KDP und PKK sich zu normalisieren. Die KDP entsandte am 22. Juni eine ranghohe Delegation aus Mitgliedern des Politbüros der Partei zum Kongress der HDP (Demokratische Partei der Völker) nach Ankara. Am darauffolgenden Tag traf sich die Delegation der KDP mit einer Abordnung der PYD in Istanbul. Beide Seiten erklärten, dass sie sich bemühen werden, die bestehenden Probleme zu lösen.
Nun nach dem Vormarsch der ISIS reden alle kurdischen Parteien wieder von der Notwendigkeit eines kurdischen Nationalkongresses. Zu hoffen ist, dass dieses Mal die Probleme gelöst werden können und die innerkurdischen Beziehungen sich verbessern.