Der Gordische Knoten | Andreas Buro
Eine antike Legende besagt, die Götter hätten den Streitwagen des phrygischen Königs Gordios durch einem unlösbar erscheinenden Knoten mit dem Joch der Zugpferde verbunden. Nur wer den Knoten lösen könne, würde siegreich sein. Überliefert wird, Alexander, genannt der Große, habe den Knoten mit einem Schwertstreich zertrennt. Er war erfolgreich in seinem Feldzug, starb aber bald und sein erobertes Reich zerfiel. Interessanter Weise gibt es eine zweite kluge, gewaltfreie Variante dieser Überlieferung. Alexander habe nur den Bolzen, um den der Knoten sich schloß, heraus gezogen, so dass der Knoten sich von allein löste. Wie immer die historische Wahrheit sein mag, die Legende macht deutlich, selbst bei der Lösung sehr schwieriger Probleme gibt es neben der gewaltsamen Variante auch eine intelligente Lösung mit geringen Kollateralschäden. Denn beim Bolzen-Raus-Ziehen gehen die Seile nicht in Stücke. Wie die Geschichte allerdings zeigt, haben die meisten Herrscher die weniger intelligente Methode des Zuschlagens mit dem Schwert vorgezogen – meist mit verheerenden Folgen.
Noch vor zwei Jahren waren viele voller Hoffnung, es könne eine friedliche politische Lösung des türkisch-kurdischen Konflikts gefunden werden. Ich warnte davor, das Fenster der Möglichkeiten sich nicht wieder schließen zu lassen. Aufgrund wahltaktischer Machtkalküle der AKP ist es dann doch zugeschlagen worden. Heute ist der gordische Knoten fest zugezurrt. Die AKP-Regierung im Bündnis mit dem Iran, den USA und unterstützt von fast allen europäischen NATO-Staaten rüstet und bereitet sich, um den Knoten militärisch zu zerschlagen, koste es, was es wolle, an Kollateralschäden und zukünftigem Unfrieden.
Fast 30 Jahre Bürgerkrieg sollten eigentlich gereicht haben, um auf türkischer wie auch auf kurdischer Seite zu begreifen, dass ihr Konflikt mit Gewalt nicht zu lösen ist.
Gegenwärtig rechnen sich nun beide Seiten vor, wie sehr die gegnerische Partei Schuld habe an der verknoteten Situation. Das mag jeweils der eigenen Seite das gute Gefühl bescheren, einen gerechten Krieg zu führen, doch trägt dies überhaupt nichts zur Lösung des Konflikts bei. Im Gegenteil, die Fronten verhärten sich, die Interessen am Krieg wachsen, eine friedliche Lösung wird allenfalls noch verbal gefordert, ist aber nicht mehr das Ziel der Politik. Genau das geschieht gegenwärtig in der Türkei. Die Gefahr wächst, dass der Konflikt noch ethnisch überhöht wird. Minderheiten sind immer in dieser Gefahr und sie verhalten sich töricht, wenn sie noch dem Mehrheitsvolk dazu die Vorlagen liefern. Was soll denn durch Attacken auf türkische Militärposten und –kolonnen erreicht werden? Rache ist doch kein friedenspolitisches Argument! Es ist ein Antrieb für die Verlängerung und die Eskalation von Krieg. Wenn die kurdische Seite argumentiert, sie wolle eine friedliche, politische Lösung
herbei führen, wozu braucht sie dann eine Guerilla-Armee? Sie kann weder schützen noch siegen.
Strategisch interessant an der gegenwärtigen Eskalationssituation ist: Die kurdische Seite könnte tatsächlich den gordischen Knoten lösen. Sie könnte eine strategische Initiative starten, Ankara den Krieg weg nehmen, sich von dem Vorwurf, terroristisch zu sein, befreien und sich dadurch viele internationale Optionen erschließen.
Warum gibt sie nicht einfach den militärischen Kampf auf? Bietet der UNO die Übergabe ihrer Waffen und die Auflösung ihrer Militärorganisation an, als großartige Friedensgeste. Dann wäre der Bolzen aus dem Knoten gezogen. Ihre Friedenssehnsucht sowie die Erfüllung ihrer menschenrechtlich begründeten Ziele könnten mit zivilen Mitteln verfolgt werden. Dass viele Kurden dazu Mut haben, zeigen gerade die vielen Aktionen der kurdischen Bürger und Bürgerinnen vor denen man nur den Hut
voller Hochachtung ziehen kann.
Doch nun klingt mir wieder das Lied der Marlene Dietrich mit dem Refrain in den Ohren „Wann wird man je verstehen?“ Vielleicht können die Kurden eine positive Antwort auf diese hFrage geben.