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LEUGNUNG – FORTSETZUNG DES VÖLKERMORDS MIT ANDEREN MITTELN

24. April 2012. Bremen. - Wir alle sind in der Lage, uns die Schrecken eines Völkermords vor Augen zu führen. Die Bilddatei in unseren Köpfen ist prall gefüllt: Auschwitz, Der-es-Sor, Buchenwald, Ras-ul-Ajn.


Aber können wir uns vorstellen, was es mit den Opfern macht, wenn diese Bilder durch staatliches Diktat verboten werden? Können wir uns vorstellen, was in den Seelen der Hinterbliebenen, in den Herzen der Überlebenden vor sich geht, wenn der Völkermord, dessen Opfer sie sind, doch gar nicht stattgefunden haben soll? Was richtet die Leugnung des türkischen Völkermords an den Armeniern durch die Türkei noch heute, fast hundert Jahre danach, bei denen an, die elend überlebt, die ihre ermordeten Familien zurücklassen und in die Diaspora fliehen mussten? Die Leugnung ist die Fortsetzung des Völkermords mit anderen Mitteln.

Darum fordern die Armenier von den Parlamenten und Regierungen der Welt, den Völkermord von 1915 rechtlich verbindlich anzuerkennen und dann die logische Konsequenz zu ziehen: die Leugnung verbieten. Endlich Schluss machen mit der Verhöhnung der Opfer, endlich den Toten ihre Würde zurück geben und den Hinterbliebenen Raum für ihre Trauer öffnen.

Als Alexander und Margarete Mitscherlich Mitte der sechziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts ihr bahnbrechendes Buch über „die Unfähigkeit zu trauern“ veröffentlichten, lösten sie damit eine ungeheure Erschütterung aus. Sie brachten die Deutschen dazu, ihre betonharten Abwehrmauern gegenüber Schuld und Mitschuld an den Nazi-Verbrechen und damit am Holocaust bröckeln zu lassen. Ein Prozess, auf den die Deutschen heute zu Recht stolz sein können.

Ein Prozess allerdings, der offenbar noch längst nicht abgeschlossen ist. Wie wäre sonst denkbar, dass Deutschland den Völkermord, der nur wenig vorher stattfand und dem Deutschland als privilegierter Zuschauer applaudierend beigewohnt hat - dass Deutschland diesen türkischen Völkermord an den Armeniern bis heute nicht anerkennt? Und dass hierzulande die Opfer von Völkermorden der Leugnung ihres Schicksals schutzlos ausgeliefert bleiben? Offenbar ist das deutsche Potential an Anteilnahme und Empathie angesichts der Ungeheuerlichkeit Holocaust erschöpft.

Das ist kein gutes Zeichen für die politische Kultur in Deutschland. Wie nachhaltig ist die deutsche Aufarbeitung des faschistischen Erbes, wenn weder die Politik noch die mediale Öffentlichkeit wirklich bereit sind, Völkermord als politisches Instrument eindeutig zu benennen und zu verurteilen? Sicher ist das Wiederaufflammen von Nazi-Terror in Deutschland kein Zufall. Es sollte den Verantwortlichen auch ein Signal sein, mehr als bisher darüber nachzudenken, wie man mit Opfern von Gewalt umgeht.

Es gibt in Bezug auf den Völkermord an den Armeniern kein Informationsdefizit, es gibt einzig und allein ein Defizit an Willen, Täter und Opfer fein säuberlich zu trennen. Diplomatie satt Ehrlichkeit. Politische Kultur?

Wir gedenken heute der anderthalb Millionen Opfer des türkischen Völkermords an den Armeniern. Seit 97 Jahren ist der 24. April unser Tag der Trauer, der Tag, an dem die jungtürkischen Technokraten ihre Mordmaschinerie angeworfen haben. Wir gedenken der Toten, wir gedenken auch der vielen griechischen und aramäischen Opfer, wir gedenken derer, die auf der Flucht oder in der Diaspora elendiglich zugrunde gegangen sind. Und wir gedenken all derer, die in den Jahrzehnten danach an der Leugnung gelitten haben und daran zerbrochen sind. Wir gedenken der Opfer und wir fordern zugleich, in ihrem Namen und im Namen der überlebenden Nachfahren: Anerkennung des Völkermords von 1915 und strafbewehrtes Verbot der Leugnung von Völkermorden.

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