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Gefährliche Offensive | Serdar Damar

Serdar Damar - Der Türkische Ministerpräsident Erdogan will hartes »Durchgreifen« des Staates gegen die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK). Doch diese Politik wird den Konflikt nur noch mehr verschärfen. Von Serdar Damar

Die türkischen Streitkräfte bombardieren seit zwei Tagen Stellungen der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) in den im Nordirak gelegenen Kandil-Bergen. Der türkische Ministerpräsident Erdogan meint, der „Geduldsfaden“ sei gerissen, und begründet die Angriffe auf die kurdischen Guerilleros mit den jüngsten Angriffen auf die türkische Armee vom 17. August, bei denen 12 Sicherheitskräfte zu Tode kamen. Dabei waren die Soldaten dabei, nahe der irakischen Grenze in der kurdischen Stadt Hakkari Operationen gegen die PKK vorzubereiten. Die Kämpfe zwischen der Armee und PKK-Einheiten hatten sich in den letzten Wochen intensiviert. Dabei kamen mehrere Soldaten ums Leben.
Doch die Angriffe sollen laut der türkischen Regierung nicht auf die PKK-Kämpfer beschränkt bleiben. Ministerpräsident Erdogan erklärte am 16. August auf der 10. Jubiläumsfeier seiner liberal-konservativen AK-Partei, dass auch diejenigen, die sich nicht gegen die PKK stellen, zur Verantwortung gezogen würden. Damit sind all jene gemeint, die sowohl für die PKK als auch für die Partei für Frieden und Demokratie (BDP), die größte pro-kurdische Partei, auf die Straßen gehen. Demnach sollen auch legale politische Aktivitäten stärker verfolgt und diskriminiert werden. Schon am Tag nach dem tödlichen Angriff der PKK titelte die Zeitung YENI SAFAK im Hinblick auf die kurdische BDP: „Ihr seid die Mörder“. Damit reihte sich die Zeitung in die Mehrheit der türkischen Medien ein, die an der Seite der Regierung Stimmung gegen die zivil-legalen Organisationen der Kurden machen. Eine chauvinistische Stimmung im Land soll die Zustimmung für derartige Angriffe erleichtern.
Bereits jetzt sind über 1700 kurdische Politiker (darunter viele gewählte Bürgermeister und Stadträte sowie ein gewählter Parlamentsabgeordneter) in Haft, gegen die seit ca. zwei Jahren unter dem Vorwand der politischen Unterstützung der PKK der Prozess gemacht wird. Nun sollen „Spezialkräfte“ stärker in den Städten gegen Demonstranten vorgehen. Doch die kurdische Bewegung, welche mehrheitlich hinter der PKK steht, ist längst nicht mehr eine –wie vom Staat jahrelang gerne propagiert – marginalisierte Widerstandsbewegung, sie ist mit ihren Frauen- und Jugendsektionen eine Volksbewegung. Daher ist zu erwarten, dass durch das harte „Durchgreifen“ des Staates die Konflikte sich noch mehr verschärfen als bisher.
Die Strategie der Erdogan-Regierung ist eine bekannte Politik mit Zuckerbrot und Peitsche. Angeblich sollen neben dem harten Kampf gegen bewaffnete Einheiten der PKK in den Bergen und Sympathisanten in den Städten auch Schritte in Richtung einer Demokratisierung des Landes vorangetrieben werden. Doch es ist offensichtlich, dass durch den massiven Angriff und die Kriminalisierung der auf legal-ziviler Basis arbeitenden kurdischen Organisationen für viele Kurden kaum eine andere Perspektive übrig gelassen wird als die eines bewaffneten Kampfes zur Erlangung politischer und kultureller Rechte.
Die PKK hat seit 1984, dem Beginn des bewaffneten Widerstandes gegen den türkischen Staat, insgesamt achtmal einseitig die Waffen niedergelegt. Zuletzt zogen sich die Kämpfer ab dem 1. Juni 2010 auf die „passive Verteidigung“ zurück, d.h. keine Kampfhandlungen zu planen oder zu provozieren, solange sie nicht selbst angegriffen werden. Die so auf Wunsch des sich im türkischen Gefängnis befindenden PKK-Vorsitzenden Öcalan entstandene Waffenruhe sollte eine friedliche Atmosphäre für die Zeit der Wahlkämpfe ermöglichen. Damit waren aber auch Forderungen an die Regierung verbunden, so bald wie möglich die Operationen gegen die PKK einzustellen und die über 1700 zivilen kurdischen Politiker zu entlassen, Friedensverhandlungen mit Öcalan zu führen sowie die weltweit einmalige 10%-Hürde bei den Wahlen zu senken.
Doch während die Regierung einräumte, indirekte Gespräche mit Öcalan zu führen, gingen die militärischen Operationen gegen die PKK-Kämpfer weiter. Allein zwischen Mitte März und Mitte Juli wurden 49 kurdische Guerilleros von den Militärs aufgesucht und ermordet. Außerdem sind mindestens 37 Zivilisten, darunter mehrere Kleinkinder, im Jahr 2011 durch die Schüsse der Armee oder wegen der Polizeigewalt auf den Demonstrationen getötet worden.
Aber auch die PKK schlägt schärfere Töne an. Sie drohte kürzlich, „die gesamte Türkei durcheinander zu bringen“, falls die Türkei sie provoziere, und all ihre Kräfte zu mobilisieren. Außerdem würde kein Politiker mehr seines Lebens sicher sein, würde Öcalan etwas zustoßen. Öcalan sei die rote Haltelinie. Und tatsächlich, Öcalan wird seit über 20 Tagen kein Besuch seiner Anwälte mehr erlaubt, vieren seiner Anwälte wurde für ein Jahr das Mandat entzogen.
Für die sich jetzt verschärfende Situation ist zwar auch die kurdische Politik teilweise verantwortlich. So hat z.B. die unter der PKK-Führung stehende Bewegung starke hierarchische und sektiererische Züge. Sie möchte keine Lösung für den Konflikt zulassen, die nicht die Führung der PKK und ihres Chefs, Öcalan, untermauert. Auch hat die kurdische Bewegung es nicht geschafft, die Widersprüche und Kräftekonstellationen innerhalb der türkischen Gesellschaft für sich zu nutzen, so dass sie die Öffentlichkeit auf ihre Seite hätte ziehen können. Während die liberal-konservative AKP offensiver als alle vorherigen Regierungen gegen den Status quo und somit gegen die verkrusteten Verhältnisse zwischen dem Militär und dem Staatsapparat vorging und dabei die Unterstützung der Bevölkerungsmehrheit genoss, hielt sich die kurdische Bewegung zurück und nahm eine „neutrale“ Position ein.
Doch der Konflikt in Kurdistan ist letztendlich auf die jahrzehntelange Verleugnung und Unterdrückung der kurdischen Bevölkerung durch den türkischen Staat zurückzuführen. Bis heute sind an die 12 Millionen KurdInnen von jeglichen verfassungsrechtlich gesicherten Rechten ausgeschlossen. Die Unterdrückung der Kurden in der Türkei wäre so lange nicht in dem Maße möglich gewesen, hätten die EU-Staaten wie Deutschland und Frankreich, so wie die USA, die Türkei nicht politisch und militärisch unterstützt. Die Türkei ist heute der größte Abnehmer für deutsche Rüstungsgüter.
Die linken und demokratischen Kräfte sollten sich für das Selbstbestimmungsrecht der KurdInnen einsetzen. Erst durch eine umfassende Anerkennung ihrer politischen und kulturellen Rechte kann die Türkei den Weg zur Demokratie und Frieden finden. Auch sollte von der deutschen Regierung die Anerkennung der 800.000 Kurden als eine eigenständige Minderheit gefordert werden. Das Verbot der PKK schränkt die politischen Ausdrucksmöglichkeiten der Kurden ein. Daher muss dieses Verbot aufgehoben werden. Darüber hinaus sollte die Linke mehr politischen Druck auf die Türkei zur friedlichen Beilegung des Konfliktes ausüben und sich für eine Einstellung des Waffenhandels mit der Türkei einsetzen.

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