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Der Konflikt in Syrien [Jungle World]

In Syrien drohen ein Bürgerkrieg und die Internationalisierung des Konflikts. Doch die »internationale Gemeinschaft« tut kaum etwas dagegen.

Während die Zahl der Toten und Inhaftierten in Syrien täglich steigt und das Regime weiter mit äußerster Brutalität gegen die Protestbewegung vorgeht, erschöpft sich die Aktivität westlicher Regierungen weitgehend in Rhetorik. Während US-Präsident Barack Obama, der monatelang schwieg und dessen Außenministerin Hillary Clinton Bashar al-Assad im April noch als Reformer pries, inzwischen folgenlos einmal in der Woche den syrischen Präsidenten zum Rücktritt auffordert, hat die EU sich endlich zu einem halbherzigen Boykott syrischen Öls durchgerungen. Seit Beginn des Aufstands weisen syrische Oppositionelle darauf hin, dass gezielte ökonomische Sanktionen Assad erheblich schwächen könnten. Immerhin verhängte das Regime kürzlich einen Importstop für Luxusgüter, ein sicheres Zeichen, dass die Staats- und damit Kriegskasse sich rapide leert. Doch internationale Maßnahmen kommen, wenn überhaupt, wohl zu spät.

Denn nachdem Russland und China mit ihrem Veto im UN-Sicherheitsrat eine Resolution gegen Syrien verhindert haben, dürfte der Konflikt, der bislang weitgehend von friedlichen Protesten bestimmt war, blutiger werden. Enttäuscht und empört reagierten Oppositionelle und Demonstranten auf die Nachricht aus New York. Aus Beirut meldeten tags darauf Unterstützer der syrischen Protestbewegung eine verstärkte Nachfrage nach Waffen. Aktivisten aus den Städten Homs und Hama, in denen die Proteste besonders heftig sind, sagten dem Guardian, sie sähen nun, da keine Aussicht mehr auf internationale Hilfe bestehe, keine andere Möglichkeit mehr, als den bewaffneten Kampf aufzunehmen. Auch mehren sich seit einiger Zeit Hinweise, dass inzwischen größere Einheiten von Deserteuren in den Reihen der sogenannten Free Syrian Army (FSA) kämpfen, die angibt, inzwischen über 10 000 Mitglieder zu verfügen. Ende September lieferten sich Armeeeinheiten und Kämpfer der FSA in der Stadt Rastan Gefechte. Erst mit dem Einsatz von Panzern und Artillerie und nach tagelangen Kämpfen gelang es den Truppen Assads, die nördlich von Damaskus gelegene Kleinstadt wieder einzunehmen. Bislang ist zwar unklar, wie stark die FSA wirklich ist, die Entwicklungen der letzten Zeit brachten Syrien jedenfalls einem Bürgerkrieg noch näher. So warnte auch der Vorsitzende des neuen Dachverbandes der syrischen Opposition, Burhan Ghalioun, dass die Untätigkeit der Welt immer mehr Syrer in den bewaffneten Kampf treibe.

Auch in den kurdischen Gebieten Syriens eskaliert die Lage. Bislang waren die Demonstrationen dort vergleichsweise gewaltlos verlaufen, die meisten kurdischen Parteien hatten zur Zurückhaltung aufgerufen. Vorige Woche allerdings wurde der beliebte Oppositionelle Meshal Tamo in Quamishli ermordet. Auch wenn bislang unklar ist, ob Agenten des syrischen Regimes oder, wie einige kurdische Quellen vermuten, Attentäter der PYD, des syrischen Ablegers der PKK, hinter dem Attentat stehen, gingen am folgenden Tag 50 000 Menschen auf die Straße. Sicherheitskräfte eröffneten das Feuer auf die Trauernden, die das Regime für den Tod des Politikers verantwortlich machten, und erschossen mehrere Demonstranten. Unüberhörbar erklang auch hier der Ruf nach einer »Intifada« (Aufstand). Meshal Tamo, Mitbegründer der kurdischen Zukunftspartei, galt als säkularer und liberaler Befürworter einer friedlichen Koexistenz von Arabern und Kurden. Erst vor wenigen Wochen wurde er Mitglied des Syrian National Council, eines in Istanbul gegründeten Dachverbands der Opposition. Sein Sohn Fares erklärte nun, die Kurden in Syrien würden weiter Widerstand leisten, bis das Regime gestürzt und Assad hingerichtet sei.

Entschließen sich die Kurden zum bewaffneten Aufstand, fiele es ihnen wohl leicht, sich mit Waffen aus dem benachbarten Irakisch-Kurdistan zu versorgen. Damit käme man einer umfassenden Destabilisierung der Region, vor der Politiker in Europa und den USA seit Monaten warnen, wieder einen Schritt näher. Denn nicht nur die Kurden pflegen enge Beziehungen über die Grenze. Sollte der Konflikt in Syrien sich weiter internationalisieren, könnten aus dem Irak auch Araber, die im sunnitischen Dreieck jahrelang einen Guerillakrieg gegen US-Soldaten und irakische Regierungstruppen geführt haben, in die Kämpfe eingreifen. Seit Monaten wird immer wieder gemeldet, dass iranische Einheiten ebenso für das syrische Regime kämpfen wie Freiwillige der Hiz­bollah aus dem Libanon. Falls das Land in Chaos und Bürgerkrieg versinkt, hätte dies nicht nur katastrophale Folgen für die Menschen in Syrien, sondern für die ganze Region.

Welch zentrale Rolle Syrien im Nahen Osten spielt, ist bekannt. Und doch schaut die »internationale Gemeinschaft« weitgehend hilf- und tatenlos zu, wie sich die Lage täglich verschlechtert. Ernstzunehmende Initiativen oder Pläne für die Zukunft existieren nicht. Stattdessen wird die Verantwortung ausgerechnet an die Türkei delegiert, wo mit tätiger Hilfe der türkischen Regierung kürzlich der Syrian National Council gegründet wurde. Kritik von säkularen oder kurdischen Stimmen, dass unter türkischer Ägide die Muslimbrüder den Verband dominieren würden, verklang ungehört. Offenbar unterstützt zumindest die US-Regierung die Aufwertung der Islamisten. Im August übte deshalb das einflussreiche Hudson-Institut heftige Kritik an der Syrien-Politik des US-Präsidenten. Er habe sich entschieden, zu Lasten der säkularen Kräfte die Zusammenarbeit mit den Muslimbrüdern zu suchen.

Dass neben dem Jemen nun auch Syrien sich in einen failed state zu verwandeln droht, liegt keineswegs nur an der Brutalität des Assad-Regimes und seinen Alliierten im Iran und dem Libanon, sondern ebenso an der so offenkundigen Unfähigkeit bzw. dem Unwillen derer, die sich gerne »internationale Staatengemeinschaft« nennen.

Quelle: http://jungle-world.com/artikel/2011/41/44125.html http://jungle-world.com/artikel/2011/41/44125.html

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