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Die Wirtschaftspolitik der Türkei in Bezug zur kurdischen Frage

Veysi Sarısözen

Die AKP-Regierung ist dabei ein Gesetz zu erarbeiten, um bei Verdacht auf Unterstützung einer „Terrororganisation“ das gesamte Vermögen der Verdächtigten zu beschlagnahmen. Dies geschieht prompt, als wir eine Änderung der Antiterrorgesetze auf dem Weg zu einer neuen Verfassung forderten.

Dieses Gesetz ist ein Beleg dafür, dass die historisch bekannte Methodik der Kapitalakkumulation des türkischen Staates ein weiteres Mal zum Einsatz kommen soll.

Die Entstehung des türkischen Nationalkapitals ist nicht auf ökonomische Vorgänge und Entwicklungen zurückzuführen sondern auf den blutigen Genozid an den Armeniern. Zusammengefasst lässt sich sagen, dass das türkische Nationalkapital nicht durch Anstrengung und Arbeit erschaffen wurde, sondern durch die Vernichtung eines Volkes. Im Anschluss zum türkischen Nationalkrieg wurden die Griechen rechtswidrig vertrieben. Das Kapital wurde schließlich vollkommen türkisch-national als im Zuge des Pogroms vom 6./7. September 1955 an den Griechen auch deren Kapital vom türkischen Kapital unter den Nagel gerissen wurde.

Dies bedeutet nun, dass es an der Reihe ist, sich auch das „kurdische Kapital“ einzuverleiben.

Wir haben stets über die türkischen Medien vernehmen können, dass der Musiker und Schauspieler Ibrahim Tatlıses der PKK Geld zuführt. Auch er wird auf diese Nachrichten stets mit einem müden Lächeln reagiert haben. Aber dies kann sich nun schlagartig ändern, da, wenn das Gesetz von dem wir hier sprachen das Parlament passiert, der Staat bereits bei Verdacht z. B. alle „Kebab-Läden“, die im Besitz von Ibrahim Tatlıses sind, verstaatlichen kann.

Und was passiert, wenn so z. B. die Marktanteile auf dem Kebab-Markt neuverteilt werden. Dann wird ein Türke von der Gülen-Sekte diese Lücke fühlen und sich so das kurdische Kapital einverleiben.

In den 90ern befand sich bewiesenermaßen eine Liste von kurdischen Geschäftsleuten in der Tasche der damaligen Ministerpräsidentin Tansu Ciller. Diese wurden einer nach dem anderen ermordet, so dass die Lücken, die diese hinterlassen hatten, von zuvor bestimmten Akteuren gefüllt wurden.

Was will man nun erreichen? Man will zum selben Ergebnis gelangen, indem man kurdisches Kapital beschlagnahmen möchte. Die AKP versucht bereits, die Geschäftsleute östlich des Euphrats zu kriminalisieren, die aus Protest ihre Geschäfte geschlossen halten. Die AKP und Oligarchen der Gülen-Sekte, die dem türkischen Kapitalismus die Richtung geben, bedrohen offen das kurdische Kapital, Geschäftsleute, Vermögende, indem sie deutlich machen, dass sie ihnen ihr Haus, ihren Laden, ihre Fabrik, ihre Herde, etc. wegnehmen werden. Sobald dieses Gesetz verabschiedet ist, wird man das Vermögen der Kurden und Kurdinnen plündern und sich aneignen können. Die Geschichte berichtet uns von dieser Gefahr.

Wie wird diese Plünderung aussehen?

Die neuen Oligarchen der AKP und Gülen-Sekte wissen bestens Bescheid, wie man das Vermögen anderer durch Plünderung an sich reißen kann. Denn sie sind es, die durch Betrug, Manipulation und der Ausbeutung von Arbeit zu einer neuen mopolistisch-grünen Bourgeoisie aufgestiegen sind. Sie haben durch ihre Praxis bewiesen und erfahren, dass das Geld keine Gottheit kennt. In jedem ihrer Münzen stecken mindestens der Seufzer eines Wehrlosen, die Schließung eines Ladens, der Verlust des Standes eines Markthändlers oder die Insolvenz einer Manufaktur. Der kurdische Viehmarkt wurde niedergemacht und wird nun durch türkische Viehimporteure ersetzt. Sie befinden sich auf einem Markt, wo das Geld gottlos ist, so dass sie zu den Meistern der niederträchtigsten Wirtschaftsform geworden sind. Weil sie sich dessen bewusst sind und die Nachricht von dem neuen Gesetz erhalten haben, freuen sie sich bereits wie Hyänen.

Nun diejenigen, die noch nicht Teil des städtischen-grünen Kapitals sind und zu den Fußsoldaten der AKP zählen, werden wie AK-Babas (Mafiös) durch Verleumdung und abgekarteter Fallen ihre Konkurrenz eliminieren, indem sie sie der Unterstützung von Terroristen beschuldigen werden. Dafür sitzen sie bereits in den Startlöchern.

Man wird durch dieses Gesetz an den Küsten, wo die Fremdenfeindlichkeit ihren Höhepunkt erreicht hat, die kurdischen Manufakturen innerhalb weniger Jahre vom Markt drängen. Dies ist der Beginn der Säuberung der Küste von KurdInnen.

Aber es gibt weitaus strategisch wichtigere Ziele, die man so zu erreichen hofft.

Alle, die in Antep, Malatya, Diyarbakir und in den vom Euphrat östlich gelegenen aufstrebenden Städten Teil der demokratisch-kurdischen Front waren, an Demonstrationen vielleicht gar nicht teilgenommen aber die BDP gewählt haben, irren sich, wenn sie glauben, dass man sie in Ruhe lassen wird, wenn sie sich vom demokratisch-kurdischen Widerstand fern halten. Die AKP wird diese, sobald das Gesetz verabschiedet ist, nicht wegen Unterstützung des „Terrors“ anklagen, sondern das kurdische Kapital angreifen und die Lücken mit türkischen Kapitalisten schließen.

Dies ist der erste Schritt hin zur Aufteilung des regionalen Marktes unter dem türkischen Kapital. Die AKP beabsichtigt nicht nur den Markt innerhalb der Türkei für sich einzuverleiben, sondern zielt darauf, den gesamten kurdischen Markt zu erobern. In den Süden [Südkurdistan] investiert die Öl- und Baubranche in Begleitung militärischer Drohgebärden, im Westen [Syrien] intervenieren sie gegen Baschār al-Assad unter dem Vorwand der imperialistischen Lüge die Demokratie installieren zu wollen und im Norden eben durch das Gesetz Besitzlose zu schaffen. Der Wirtschaftsminister Babacan hat erst kürzlich erklärt, dass der europäische Markt zusammenbrechen wird und die Produzenten sich nach neuen Märkten umzuschauen hätten. Nirgends auf der Welt gibt es einen freien oder offenen Markt. Neue Märkte zu erschließen bzw. erobern bedeutet, dass man andere von diesem Markt vertreiben und an ihre Stelle treten muss.

Der Fall der Regime südlich der Türkei bedeutet ein enormes Potenzial für das Kapital. Die kurdischen Territorien befinden sich eben im Herzen des zukünftigen Reichtums. Auch die imperialistischen Mächte wissen, dass die Macht, welche Kurdistan beherrscht, die gesamte Region beherrschen wird.

Das türkische Kapital versucht durch dieses neue Gesetz, die Verhaftungen, die Vertreibungen, durch den Krieg und durch die Schaffung von Besitzlosen die demokratisch-nationale Einheit der Kurden zu zerschlagen. So, oder durch andere Tricksereien und Betrügereien, versucht sie sich das Herz der Region einzuverleiben. Über den Weg, der von über 200.000 Soldaten und Tausenden von Polizisten geebnet werden soll, hat das türkische Kapital seinen Feldzug in die Region gestartet.

Quelle: Özgür Gündem, 23.11.2011, ISKU

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