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Rede von Ismail Besikci vor der Istanbuler 11. Strafkammer für besonders schwere Verbrechen‏

Übersetzt von der GfbV - Kemal Sido (Nahost Ref)

Ehrenwerte Richter,

Ich werde aufgrund meines Artikels ,,Das Selbstbestimmungsrecht der Nationen und die Kurden" der in der Zeitschrift „Recht und Gesellschaft in Unserem Zeitalter" (Winter 2010, 59/6) abgedruckt worden ist, angeklagt.

In der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft wird folgende Aussage getroffen : „der Verfasser des Artikels, Ismail Besikci, konnte aufgrund der Tatsache, dass er in Ankara wohnhaft ist, nicht die Verteidigung abgenommen werden, da seine Handlung einer kurzen Verjährungsfrist unterliegt. Es ist klar geworden, dass trotz der fehlenden Verteidigungsschrift die öffentliche Anklage gegen ihn erhoben werden
muss.” (S.2)

Die Anklageschrift habe ich am 15.06.2010 erhalten. In der Milliyet vom gleichen Tag war folgender Artikel zu lesen. „Flüchtige Uzan´s sind dem Gefängnis entgangen. Die Anklage gegen die flüchtigen Brüder Kemal Uzan und Yavuz Uzan, die wegen Vergehens gegen das Steuerrecht angeklagt waren, wurde aufgrund des Ablaufens der Verjährungfrist fallen gelassen. Drei Angeklagte im gleichen Prozess wurden zu 4,5 Jahren Gefängnis verurteilt.”

Wenn von den Uzan´s die Rede ist, ist das erste was einem in den Sinn kommt, die Veruntreuung von Geldern die den Staat um Trillionen (TL) geschädigt haben, sowie Veruntreuungen im Bankensektor. Aber in dieser Angelegenheit zeigen der Staat, sowie die Justizorgane keine Sensibilität. Wenn es aber um das geistige Leben geht, wenn z.B. eine Kritik in Frage kommt, ist eine enorme Sensibilität vorhanden. Es gibt immense Bestrebungen das Denken unter Kontrolle zu halten . Dies ist eine wichtige Dimension des Türkischen Rechtlebens, sowie des Türkischen Politischen Lebens.

Das Antiterrorgesetz Nr. 3713 vom 12.04.1991 hatte den Artikel 8, der alle Aussagen und Veröffentlichungen in Bezug mit den Kurden, mit der Kurdischen Problematik unter Strafe stellte. Ein Propaganda-Vergehen. Dieser Artikel wurde am 15.07.2003, mit dem Gesetz Nr. 4928 abgeschafft. Aber die Anklageschrift zeigt, dass dieser Artikel immer noch in Kraft ist. Ich möchte kurz auf die möglichen Strafen in der Vergangenheit blicken, die in Relation mit Aussagen über die Kurden und über die Kurdische Frage Anwendung fanden.

Bis in die 1990er Jahre fanden gegen solche Aussagen die Paragraphen 141-142 des damaligen Türkischen Strafgesetzbuches Anwendung. Autoren, Journalisten, die über die Kurden, die Kurdische Sprache sprachen, sahen sich mit der Behauptung, sie würden die nationalen Gefühle abschwächen, administrativen und strafrechtlichen Konsequenzen ausgesetzt.Der 8. Artikel sowie die Paragraphen 141-142 des obengenannten Antiterrorgesetzes Nr. 3713 wurden außer Kraft gesetzt. Aber dieses Gesetz, mit dem 8. Artikel, hat alle Veröffentlichungen im Zusammenhang mit den Kurden, Kurdistan und Kurdisch als eine Straftat bewertet und hat dergleichen strafrechtlich verfolgt. In den 1990er Jahren kam dieser Paragraph verstärkt zur Anwendung.Der 8. Artikel, von dem die Rede ist, wurde 2003 durch das Gesetz Nr.4928 außer Kraft gesetzt. Nun aber sehen sich diese Art von Veröffentlichungen durch den Artikel 7/2 des Antiterrorgesetzes neuen Ermittlungen ausgesetzt.

Ehrenwerte Richter,
Die Kurdische Frage ist ein wichtiges Problem, das mit der Gesellschaft, der Politik, dem Ökonomische Leben, sowie mit der Sicherheit der Türkei im engen Zusammenhang steht. Sie steht dieser Art von Problemen in erster Linie vor. Diese Situation kommt auch in manchen Erklärungen von Ministerpräsidenten zur Aussprache. Im Oktober 1991 erklärte der damalige Ministerpräsident Süleyman Demirel, das man die “Kurdische Realität” anerkenne. Aber aufgrund von Kritiken und Warnungen des herrschenden Establishment, hat dieser nicht hinter seiner Aussage gestanden und hat nicht die Notwendigkeiten, die aus solch einer Aussage resultieren, erfüllt .

Mitte der 90er Jahre hat die damalige Ministerpräsidentin Tansu Ciller auf ihrer Spanien-Reise vom Baskischen Modell gesprochen, aber aufgrund von Warnungen aus Kreisen des Establishment, erklärte sie, sie sei falsch verstanden worden. Später hat Mesut Yilmaz, der den Posten des Minispräsidenten besetzte, erklärt, das der Weg in die EU über Diyarbakir führe, aber auch er stand nach Kritiken und Warnungen nicht zu seinem Wort und hat keine konkreten Schritte im Zusammenhang mit seiner Aussage vollzogen.

Heute nennt Präsident Abdullah Gül „ die Kurdische Problematik als das wichtigste Problem der Türkei“. Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan trifft gleich klingende Aussagen und verkündet den „verleugnerischen Politiken den Weg abgeschnitten“ zu haben.

Es ist ein wichtiges Phänomen des Türkischen Politischen Lebens, das Ministerpräsidenten von Zeit zur Zeit kurze Statements in Bezug auf die Kurdische Problematik abgeben, durch aufkommende Kritiken und Ermahnungen sich aber von ihren Aussagen distanzieren und damit nicht hinter ihrem Wort stehen.

Gegenwärtig finden in der türkischen Presse intensive Diskussionen um die Lösung der Kurdischen Frage statt. Es ist möglich in Zeitungen, im Fernsehen, im Internet, sowie im Radio diese Diskussionen zu verfolgen. Wogegen es viel wichtiger ist, das Problem als solches zu besprechen. Genau hier tritt uns die Meinungsfreiheit als eine wichtige Notwendigkeit entgegen. Die Erweiterung der Meinungsfreiheit muss ein wichtiges Ausmaß der „Kurdischen Öffnung“ sein. In diesem Punkt ist es eine unvermeidbare Aufgabe, das Türkische Politische Leben aus der Sicht der Kurdischen Frage zu kritisieren. In diesem Punkt muss die Internationale Gemeinschaft kritisiert werden, z.B. der Völkerbund, sowie später die Vereinten Nationen. Der in der Zeitschrift „Recht und Gesellschaft in Unserem Zeitalter" erschienene Artikel, der Hauptgegenstand der Anklage ist, muss im Rahmen dieses Verständnisses bewertet werden.

Die Türkei versucht im Nahen Osten, im Kaukasus, auf dem Balkan zur einer regionalen Macht zu avancieren. Der Versuch, in Bosnien-Herzegowina oder im Armenisch-Aserbaidschanischen Konflikt Mitspracherecht zu bekommen und der Aufbau der Beziehungen zur Hamas im Gazastreifen stehen im Zusammenhang damit. Bevor es aber in der Kurdischen Frage nicht zur einer demokratischen Entwicklung kommt, sind diese Absichten und Bestrebungen der Türkei nicht realisierbar. Andere Häuser in Ordnung bringen zu wollen, bevor man seine eigene Wohnung aufgeräumt hat, wird in der internationalen Gemeinschaft nur belächelt werden.

Ich möchte einige Sätze zu der Passage meines Artikels “Das Selbstbestimmungsrecht der Nationen und die Kurden” die in der Anklageschrift aufgeführt wird, äußern. Die Aufteilung, Zersplitterung der Kurden und Kurdistans ist die wichtigste Erscheinung in der Geschichte des Nahen Ostens. Im Zusammenhang mit diesen Themen sind die Universitäten, die Medien, und Schriftsteller diejenigen, die sich dazu äußern müssen, kurz gesagt die Türkischen Intellektuellen. Das die Staatsanwaltschaft in Verbindung mit diesen Themen ermittelt, kann nur als eine Verhinderung des Kritisierens und des wissenschaftlichen Schaffens betrachtet werden. Dies aber wird das Türkische Geistige Leben austrocknen, zur eine Wüste verwandeln und die Köpfe paralysieren. Das freie Denken, die freie Kritik ist das wichtigste Kriterium der Demokratie.

Hochachtungsvoll

Ismail Besikci ]
Quelle:
http://www.zazaki.net/haber/i.-besikcinin-mahmekeye-sundugu-savunma-met…

Mit besten Grüßen
Kamal Sido

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